Im Lots* Interview spricht Göran Sell, Geschäftsführer der Ostfriesische Inseln GmbH, über die Herausforderungen und Chancen der Energiewende für Stadtwerke. Und warum es wichtig ist, dass Stadtwerke frühzeitig im politischen Raum kommunizieren.
Was ist das projektspezifische Ziel von Beteiligung?
Die drei zentralen Erkenntnisse für Stadtwerke zur politischen Kommunikation in der Energiewende
Warum ist es wichtig, dass Stadtwerke frühzeitig politisch aktiv werden?
Weil die Energiewende elementarer Baustein einer gesamtgesellschaftlichen Transformation ist. Und Stadtwerke sind hierbei zentrale Akteure, da sie direkt mit deren Umsetzung betraut sind. Das gilt für die Netztransformation, die kommunale Wärmeplanung, den Ausbau regenerativer Energien.
Bei diesen Prozessen gibt es jedoch ein Primat der Politik…
Ja, ohne klare politische Zielsetzung und Rahmung kommen wir nicht voran. Wir als Stadtwerke sollten hierbei die Kommunalverwaltungen frühzeitig in deren Dialog mit den politischen Akteuren vor Ort unterstützen. Denn die Entscheidungen, die zur Transformation der Energiesysteme im politischen Raum zu treffen sind, bilden die Grundlage für die strategische Entscheidungen, die wir in den Energieunternehmen zu treffen haben.
Wie sehen denn diese strategischen Entscheidungen aus?
Stadtwerke haben ihre Leistungen auf die kommunalen Planungen zur Transformation der Energiesysteme, insbesondere die Wärme- und Verkehrsplanungen, auszurichten. Hier verfügen sie über viel Knowhow. Wenn beispielsweise mangels vorhandener Gesamtplanungen durch private Initiativen in Quartieren bereits zahlreiche dezentrale Lösungen wie Luftwärmepumpen etabliert wurden, reduziert das den Raum und die Akzeptanz für zentrale Systeme, die möglicherweise sinnvoller gewesen wären.
Die Konflikte zwischen zentralen und individuellen Lösungen gibt es ja heute schon, wie man an der Diskussion ums GEG sah.
Natürlich. Individuelle Lösungen wie Wärmepumpen haben ihre Berechtigung. Und am Anfang eines Transformationsprozesses ist Wettbewerb zwischen den Ansätzen unbedingt sinnvoll. Zentrale Lösungen wie Fernwärmenetze brauchen oft mehr Zeit und benötigen daher oftmals eine längerfristige strategische Planung. Für die Bürger*innen ist aber eine frühzeitige Planungssicherheit entscheidend. Sie möchten wissen, welche Lösung für ihre Immobilie langfristig die beste ist und ob sie überhaupt mit einer zentralen, für sie wirtschaftlich attraktiven Anschlussmöglichkeit rechnen können.
Was sind dabei die größten Herausforderungen
Ein zentraler Konfliktpunkt ist die Konkurrenz zwischen kurzfristigen kommunalen Finanzierungszwängen und langfristigen Zielen wie der klimaneutralen Energieversorgung. Dazu kommt, dass viele Kommunen noch keine konsistente Gesamtentwicklungsstrategie haben. Stadtwerke können als Vorreiter auftreten, indem sie nicht nur ihre spezifische energiewirtschaftliche Expertise, sondern auch ihre übergreifenden Transformations- und Vermittlungsfähigkeiten einbringen. Komplexe Zusammenhänge müssen wir so erklären, dass sie für alle gleichermaßen verständlich werden. Nur so bekommen wir Mehrheiten und damit Akzeptanz.
Gerade die Bürgerschaft ist ja alles andere als homogen. Wie kann sie dennoch und zumindest in großen Teilen für die Energiewende vor Ort gewonnen werden?
Akzeptanzkommunikation ist hier der Schlüssel. Stadtwerke stehen durch ihre Nähe zu den Kunden in einer einzigartigen Position, um die Vision einer klimaneutralen Zukunft greifbar zu machen. Wichtig ist, dass wir nicht über abstrakte Konzepte reden, sondern über konkrete, vor Ort nachvollziehbare Maßnahmen. Gleichzeitig braucht es neue Formate, die Verwaltung und Politik einen geschützten Raum für eine strategische Befassung bieten.
Erfolgsfaktor Kommunikation: Wie Stadtwerke Mehrheiten gewinnen
Stadtwerke gestalten die Energiewende nur dann vor Ort erfolgreich, wenn sie die Politik aktiv einbinden, überzeugen und strategisch bespielen. Doch wie erreichen Stadtwerke politische Entscheidungsträger und Bürger? Unser Whitepaper zeigt praxisnahe Strategien und bewährte Formate.
Wie sähe denn darauf bezogen die ideale Zusammenarbeit zwischen Stadtwerken und Kommunen aus?
Sie muss eng und partnerschaftlich sein. Stadtwerke bringen technisches und transformatorisches Know-how sowie wirtschaftliche Expertise ein, Kommunen setzen die strategischen Rahmenbedingungen. Das gelingt nur, wenn beide Seiten von Anfang an auf Augenhöhe agieren und klare Verantwortlichkeiten definieren.
Wie können Stadtwerke langfristig ihre Rolle in dieser Transformation stärken?
Zukunftsorientierte Stadtwerke denken Energie, Mobilität und Digitalisierung zusammen. Sie sind nicht nur Betreiber von Infrastruktur, sondern Teil eines interdisziplinären Netzwerks, das die Transformation gestaltet. Indem sie ihre Position als kompetenter Partner von Kommunen, Politik und Bürgerschaft klar definieren und ausbauen, können sie entscheidend dazu beitragen, die Vision einer nachhaltigen Zukunft Realität werden zu lassen.
Ein herzlicher Dank an Göran Sell für das inspirierende Gespräch und seine klaren Impulse zur Rolle von Stadtwerken in der politischen Kommunikation der Energiewende.
Fazit: Wie kommunizieren Stadtwerke die Energiewende?
Wer die Energiewende vor Ort erfolgreich umsetzen will,
Kommunikation im politischen Raum, strategisch gedacht und kontinuierlich umgesetzt, wird so zum entscheidenden Hebel, um gemeinsam tragfähige Lösungen für eine nachhaltige Zukunft zu entwickeln.
Vita
Göran Sell, geboren 1971 in Berlin, leitet seit über 10 Jahren als Geschäftsführer die Nordseeheilbad Borkum GmbH. In dieser Rolle trieb er die Dekarbonisierung der Nordseeinsel Borkum als Pilotvorhaben für die gesamte EU voran, eingebettet in ein ganzheitliches nachhaltiges Lebensraummanagements zur integrativen Entwicklung der Tourismus, der die wirtschaftliche Lebensader der Gemeinde bildet, und der Daseinsvorsorge der Insel inmitten des UNESCO-Weltnaturerbes Wattenmeer. Außerdem ist er seit ihrer Gründung im Jahr 2017 Geschäftsführer der Ostfriesische Inseln GmbH sowie seit 2023 Vorstandsmitglied und Leiter des Ausschuss Kommunikation im Verband kommunaler Unternehmen. Sell studierte Rechtswissenschaften in Leipzig und General Management (EMBA) in St. Gallen (Schweiz). *Das Interview wurde im Dezember 2024 geführt.